Bild zeigt zwei Personen im immersiven Raum mit vielen Mustern

Credits: Lennart Miketta

Bild zeigt zwei Personen im immersiven Raum mit vielen Mustern

Credits: Lennart Miketta

Das Projekt page21 im Portrait

Digitales Storytelling im Dortmunder U

Page21 ist eines der Ankerprojekte der NKR im Bereich Digitale Kunst. Wie der Name schon sagt, ist die Idee dieser Projekte, einen Anker für die verschiedenen Sparten zu bilden und damit nachhaltige Strukturen in der Region aufzubauen. Ankerprojekte werden in der Regel über mehrere Jahre hinweg durch das Förderprogramm unterstützt und begleitet. Das Kunst- und Forschungsprojekt page21 bespielt einen sich im Dortmunder U befindenden immersive Raum und erweitert damit den klassischen Museumsbesuch. Das Projekt hat sich zur Aufgabe gemacht, bestehende Kunstwerke so zu verarbeiten, dass sie das Werk audio-visuell und räumlich erfahrbar machen. Es geht dabei nicht darum, das bestehende Werk zu verbessern, sondern neue Zugänge dazu zu schaffen. In diesem Artikel möchten wir euch das Projekt genauer vorstellen. Dazu haben wir uns mit Harald Opel unterhalten. Er ist die künstlerische Leitung des Raums und zusätzlich Initiator und künstlerische Leiter des storyLab kiU der Fachhochschule Dortmund.

Zeigt ein Kind im immersiven Raum

Credits: Monika Hanfland

Harald, für alle, die page21 nicht kennen, was macht das Projekt besonders?

Die Intention von page21 besteht darin, den Besuch eines Museums oder die Erfahrung eines physischen Kunstwerks zu erweitern und somit einen zusätzlichen Zugang zu Kunst zu eröffnen, der unseren sich wandelnden Seh- und Interaktionsgewohnheiten entspricht.

Page21 zeigt auf beispielhafte Weise, wie Storytelling in zeitgenössischen digitalen Medien funktionieren kann. Es veranschaulicht die Möglichkeit, Kunstwerke unterschiedlicher Genres und Materialitäten aus vergangenen Epochen in aktuelle gesellschaftliche Kontexte zu integrieren und somit einen Dialog zwischen verschiedenen Zeiten und Gesellschaftsformen zu ermöglichen. Die dreidimensional erlebbaren Erzählungen verbinden Kunstwerke aus verschiedenen Museen, indem sie sie in der Reflexion auf gegenwärtige gesellschaftliche Themen zusammenführen. Dabei ist page21 selbst ein Kunstwerk und eine neuartige Vermittlungsstrategie für Museen und wissenschaftliche Einrichtungen.

Die interaktive Kunstinstallation, der Immersive Raum, ist das Herzstück des Projekts page21. Sie lässt uns in ein Meer aus Klängen und Bildern eintauchen, in dem wir den Kunstwerken der Museen auf eine neue Art begegnen können. Die Gefühle und Gedanken, die beim Betrachten des Originals im Museum vor dem inneren Auge erscheinen, verdichten sich hier mit dem Werk zu einer eigenen Welt. Die eigens für die Kunstwerke geschaffenen Erzählwelten laden die Besucher*in zum Erkunden und Entdecken mit dem eigenen Körper ein. Auf diese Weise werden sie selbst Teil der Kunstinstallation, Teil des Immersiven Raums. Dabei vermitteln die Erzählwelten assoziativ den historischen oder konzeptuellen Hintergrund der Werke, eröffnen Bezüge zur heutigen Zeit und lassen genug Freiraum, die darin formulierten Ideen in eigene Richtungen weiterzudenken.

Die in diesem Projekt entwickelten digitalen Tools stellen eine zeitgenössische Ergänzung zu den Präsentationen und Vermittlungsangeboten musealer Einrichtungen dar. Die Entwicklung von Page21 erfolgt in einer Kooperation der Stadt Dortmund mit dem Dortmunder U, dem Museum Ostwall, dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund sowie dem Initiator und Ideengeber storyLab kiU der Fachhochschule Dortmund. Der Fokus des Projektes liegt auf der Kombination diverser Forschungsansätze, nicht zuletzt auch der Entwicklung technischer Lösungen und der Vermittlung von verschiedenen Tools.

Daten: page21, Immersiver Raum (2020–ongoing), Interaktive Videoinstallation, 4 Leinwände, 5 Projektoren, 3 Kinect-Kameras, 36 Lautsprecher, 4 Subwoofer, 16 Bodyshaker, 3 Computer, 4 x 4 x 4 Meter

Das klingt wirklich spannend und nach einer tollen Möglichkeit bestehenden Kunstwerken neu zu begegnen. Was bedeutet denn der Name page21?

Der Titel page21 spielt auf eine Seite in einem fiktiven Lexikon des 21. Jahrhunderts an. Diese Seite stellt keine zweidimensionale Buchseite dar, sondern manifestiert sich als dreidimensionale, scheinbar begehbare Welt in den digital erzeugten Raum, der aus Texten, Bildern und Klängen besteht. Die Erzählungen manifestieren sich erneut in Schrift und Bild und überschreiben die page, wodurch page21 zu einem Palimpsest wird, das das Geheimnis einer unendlich skalierbaren Welt von Geschichten birgt.

Du hast es bereits angedeutet, aber was genau unterscheidet den immersiven Raum von page21 von anderen musealen Erlebnissen?

Der immersive Raum stellt kein konventionelles digitales Archiv von Kunstwerken dar. Durch innovative Zugänge, die das Interesse der Besucher*innen für die realen Kunstobjekte in den Sammlungen wecken und neue Verknüpfungen zum Alltag der Besucher*innen aufzeigen, wird ein neues Interesse für die Sammlungen geweckt. "Dabei können digitale Vermittlungsansätze im Bereich VR und AR, wenn richtig eingesetzt, Museumsobjekte für Besucher*innen besser zugänglich machen, indem sie z. B. rekontextualisiert oder einzelne Elemente hervorgehoben werden. Die digitalisierten Objekte und Erzählungen sollen dabei als "Erweiterungen im Museumsraum und nicht als Ersatz für analoge Objekte" angesehen werden (Geipel und Hohmann: "VR/AR – Digitale Räume im Museum", In: Museen der Zukunft - Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements, S. 258).

Person im immersiven Raum

Credits: Monika Hanfland

Und wie genau funktioniert das ganze?

Die Funktionsweise des immersiven Raums ist in Deutschland bislang einzigartig. Besucher*innen können den 4x4 Meter großen Raum betreten und sich in einer virtuellen Welt bewegen, die sich in Bild und Sound immer an die Bewegung der Besucher*in anpasst, ohne dass diese eine VR-Brille oder am Körper angebrachte Sensoren benötigen. Ihr Skelett wird von drei Kinect-Kameras getrackt. Die Daten werden in das Programm übertragen, sodass sich die Projektion auf drei Wände und den Fußboden direkt anpasst und ein dreidimensional erscheinendes Erlebnis ermöglicht.

Das visuelle Erlebnis wird durch 36 Lautsprecher unterstützt, die für ein immersives Sounderlebnis um den Immersiven Raum herum hinter den Leinwänden verteilt sind und ebenfalls an die Bewegung der User angepasst sind. Diese besondere Form der Immersion, die sonst nur durch den Einsatz von VR-Brillen möglich ist, hat sich bereits zu einem besonderen Anziehungspunkt im Dortmunder U entwickelt. Der Immersive Raum erweitert die digitalen Präsentationsformen im Foyer des Dortmunder U neben dem bereits seit 2019 bestehenden Fulldome (360-Grad-Kuppel).

Welche Bedeutung haben diese Erweiterungen für das Dortmunder U?

Für das Museum Ostwall im Dortmunder U und das Museum für Kunst und Kulturgeschichte ermöglicht das Projekt, in einem gemeinsamen Prozess Erzählwelten zu Kunstwerken aus unterschiedlichen Perspektiven zu entwickeln und im Immersiven Raum für die Besucher*innen sichtbar und interaktiv erfahrbar zu machen. Dies stellt eine Erweiterung des Museumserlebnisses dar. page21 fördert den assoziativen und digitalen Umgang der Museen mit ihren analogen Objekten und ermöglicht den Betrachter*innen eine unendliche Vorstellungswelt hinter den Kunstwerken, aber auch die Kontexte zwischen den Werken neu zu entdecken.

Neben klassischerweise dem Sehsinn wird bei page21 einem weiter Sinne viel Aufmerksamkeit geschenkt. Welche Rolle spielt das Hören in Ihrem Projekt?

Der höchste Grad an Immersion wird durch das geschriebene und zu lesende Wort erreicht, während das Hören eine nahezu gleichwertige Rolle einnimmt. Das Bild eines Apfels ist stets genau dieser Apfel selbst, während die Erzählung eines Apfels eine Vielzahl an Vorstellungen desselben ermöglicht. In diesem Sinne beginnt das immersive Erlebnis im Raum auch mit Klang, Stimmen von Künstler*innen und Schrift. Aus diesen Elementen generieren sich im Anschluss die audiovisuellen Welten. Die Bildwelten werden durch den Klang im Raum sowie durch die Erzählungen von Figuren in den Welten ergänzt. Die räumliche Anpassung der Klänge in den Welten verleiht den künstlich und künstlerisch geschaffenen Umgebungen eine glaubhafte Wirkung.

Die Erzählwelt "Tierwelt" stellt eine Klanginstallation dar, die den Versuch unternimmt, eine barrierearme Erzählwelt zu schaffen, wobei der Fokus auf dem auditiven Erleben liegt. Die Tiere nehmen dabei Bezug zu Tierdarstellungen in Kunstwerken der beiden Museen Museum Ostwall und Museum für Kunst- und Kulturgeschichte. Das Visuelle tritt in den Hintergrund, stattdessen werden abstrakte Partikelströme eingesetzt, die lediglich schemenhaft eine Landschaft und Tierdarstellungen erkennen lassen. Dadurch wird den Besucher*innen Raum für die eigene Vorstellungskraft gelassen, während das dreidimensionale Klangfeld in den Vordergrund tritt und die Möglichkeit bietet, zu erraten, welche Tiere vorkommen und was diese erleben. Das Sounddesign sowie die musikalische Komposition der Erzählwelt wurden als Ambisonic Soundfield konzipiert.

Mann zeigt Kind etwas

Credits: Monika Hanfland

Du hast nun ausführlich beschrieben, warum ein Besuch von page21 einmalig für die Besucher*innen des Dortmunder Us ist. Doch was ist dein persönliches Highlight seit dem Projektstart in 2020?

Das Forschungsprojekt zeichnet sich durch eine innovative, dreifache Diversität aus: Erstens wurde eine technische Entwicklung in Bezug auf den Immersiven Raum vorangetrieben, zweitens wurde ein neuer, erzählerischer Umgang mit Kunstwerken etabliert und drittens wurde ein co-kreativer Prozess mit der Zusammenarbeit von kunstwissenschaftlichen Fachleuten mit Künstler*innen, Codern und Dramaturg*innen angestrebt. Eine besondere Herausforderung bestand darin, dass das Projekt in den Anfangsjahren unter den Bedingungen der Corona-Pandemie entwickelt werden musste und die Prozesse ohne direkten Kontakt der Mitwirkenden nur über Online-Meetings stattfinden konnten.Ein persönlicher Höhepunkt stellte sich ein, als die ursprünglichen Ideen des Projekts nach zahlreichen Versuchen in den erlebbaren Welten des Immersiven Raums aufeinander trafen und unmittelbar bei den Besucher*innen ankam. Die Vielzahl der Möglichkeiten digitaler Erzählwelten wurde evident. Dieser Moment trat ein, nachdem fast drei Jahre intensiver Arbeit an page21 bei einer Auftaktveranstaltung im Dortmunder U vergangen waren, und seither erreichen uns zahlreiche Nachfragen anderer Institutionen wie z.B. vom Kulturforum Witten, vom Museumsverband NRW oder der Ruhr-Universität Bochum. Alles hat seine Zeit.

Wenn wir nun nach vorne blicken, wie siehst du die Zukunft von page21?

Mit page21 wurden Forschungsergebnisse erzielt, die ein hohes Maß an Übertragbarkeit aufweisen. Die Grundidee, page21 als unendlich wachsende digitale Plattform für Erzählungen aus der Kunst, Kultur und den Wissenschaften zu etablieren, hat sich als tragfähig erwiesen. Die Plattform ist nicht an einen lokal erlebbaren, Immersiven Raum im Dortmunder U gebunden, sondern kann an vielen anderen Orten sowie im Internet aufgebaut und zugänglich gemacht werden. Die Erkenntnisse des Storytellings lassen sich auf andere Institutionen übertragen, da sich die technologischen Möglichkeiten und ihre Bezahlbarkeit ständig erneuern und weitere Wege eröffnen. Dieses Projekt gibt bereits jetzt Antworten auf die Frage, wie wir in der digitalen Welt erzählen und kommunizieren müssen, um diese rasanten technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen fassen und verarbeiten zu können. Die kulturelle und künstlerische Dimension der Digitalisierung wird bislang zu wenig in ihrer Wechselwirkung mit der Gesellschaft betrachtet. Das Projekt page21 demonstriert, dass die Digitalisierung eine Transformation der Kommunikation und der Sprache bedeutet und neue Formen des Erzählens im digitalen Raum hervorbringt. Die weitere Entwicklung dieses Projekts ist derzeit von der Akzeptanz künstlerischer Forschung sowie von Fördermitteln abhängig. Die Kunst ist die treibende Kraft für gesellschaftliche Entwicklung.

Danke Harald für den Einblick, den du uns gegeben hast! Wenn du nun neugierig geworden bist, dann schau dir den immersiven Raum von page21 am besten vor Ort im Dortmunder U an. Öffnungszeiten sind samstags und sonntags von 11 bis 14:30 und von 15 bis 18 Uhr. Genauere Infos findet ihr unter https://dortmunder-u.de/digitale-kultur/page-21/.