Ayahuasca - Kosmik Journey   Jan Kounen

Kosmik Journey

Ayahuasca - Kosmik Journey   Jan Kounen

Kosmik Journey

“Wir leben in einer Welt, die kein Außen mehr kennt”

Immersion als verbindendes Element

Tobias Staab ist Mitbegründer und Kurator von Dive, einem Festival für digitale Kunst, das im November 2021 erneut Räume des Planetariums in Bochum und des Schauspielhauses Bochum bespielte. Im Interview erzählt Staab über die Sogwirkung von Immersion, ihre gegenwärtigen Relevanz und die Rolle der Kunst.

Wie ist das Dive Fest entstanden?

Ich kuratiere seit 2018 einen Ausstellungsraum für Medienkunst und zwar unter dem Schauspielhaus Bochum. Der Raum heißt Oval Office. Damals war Trump gerade an die Macht gekommen und wir dachten, dass wir einen Ort für alternative Weltentwürfe der Kunst brauchen. Ich habe dafür mit unterschiedlichen Künstler*innen zusammengearbeitet, wie auch mit Ulf Langheinrich. Er erzählte mir von einem immersiven Projekt für ein Planetarium. Wir sind dann zusammen ins Planetarium Bochum und haben Susanne Hüttemeister und Tobias Wiethoff dort kennengelernt, die total offen für Experimente waren. Und so wurde das Planetarium zum Ort für immersive Künste. Gemeinsam mit meinem Co-Kurator Tobias Wiethoff entstand dann die Vision für das Dive Festival.

Warum ist das Planetarium als Standort für ein Festival für immersive Künste interessant?

Planetarien sind als immersive Orte konzipiert worden. Das erste Planetarium entstand 1924 in Jena. Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts wollten unbedingt das neue Medium Planetarium nutzen. Das ist, wenn man so will, die größte Leinwand, die ein*e Künstler*in bespielen kann. Die Bauhäusler*innen hatten viele Ideen und Konzepte, aber das ging ein bisschen auf dem Weg verloren. In den fast hundert Jahren, in denen das Planetarium existiert, wurde es immer mehr zu einer Bildungseinrichtung. Da geht’s dann nur noch um den Sternenhimmel und Schulklassen lernen etwas über Astronomie. Als Kunstort wurde es erst vor einigen Jahren wiederentdeckt, besonders durch den Virtual Reality Hype. VR ermöglicht ganzheitliche Kunsterlebnisse. Der Weg von VR in die Hemisphäre des Planetariums und umgekehrt ist gar nicht so weit.

Dein Hintergrund liegt in den Geisteswissenschaften, aktuell arbeitest du beim Theater. Woher kommt deine Begeisterung für digitale Künste?

Ich hatte einen etwas seltsamen Werdegang. Eine Zeit lang dachte ich, dass ich eine Doktorarbeit und Bücher schreibe, auf Symposien gehe und unterrichte. Ich hatte Theaterwissenschaft und Philosophie studiert. Dann wurde ich aber von den Münchner Kammerspielen gefragt, ob ich nicht Dramaturg werden wollte. Dann war ich ein paar Jahre an dem Theater, habe aber auch bald gemerkt, dass konventionelles Theater mit gesprochenen Worten und Menschen, die auf der Bühne stehen und so tun, als wären sie jemand anderes, nicht so wirklich meine Welt ist. Danach bin ich zur Ruhrtriennale gegangen, so kam ich ins Ruhrgebiet. Die Ruhrtriennale ist als interdisziplinäres Festival viel offener konzipiert. So habe ich angefangen mich für digitale Kunstwelten und neue Ästhetiken zu begeistern. Aber ich glaube auch gar nicht an Schubladen. Kunst wird dann vor allem interessant, wenn unterschiedliche Disziplinen versuchen, etwas gemeinsam zu realisieren. Immersion ist ein Thema, dass auch als verbindendes Element funktioniert.

Was ist Immersion für Dich?

Immersion ist die Möglichkeit in etwas einzutauchen. Das gibt es auf ganz vielen unterschiedlichen Ebenen. Wenn man ein Buch liest und die Buchstaben irgendwann nicht mehr sieht, sondern in der Geschichte versunken bist, dann verschwindet quasi das Medium, das den Eingang bietet. So ähnlich ist es auch bei anderen Künsten. Theater haben das früh gemacht, indem sie versuchten den Zuschauerraum komplett zu verdunkeln. In der Oper hat man das Orchester im Orchestergraben verschwinden lassen. Man hat versucht diese Illusionswirkung, die Sogwirkung, auch über die Architektur zu generieren. Mittlerweile ist Immersion auf allen Ebenen gewünscht. Die Werbung versucht das für sich zu vereinnahmen. Deswegen hat immersive Kunst idealerweise zwei Seiten: die eine ist das tolle Erlebnis, das ganzheitliche Empfinden und die andere ist die Kritik an der Immersion, die uns allzu leicht vergessen lässt, was der Rahmen ist und dementsprechend eine manipulative Dimension hat.

Was macht Immersion gerade in unserer Zeit so aktuell?

Diese Art von Involviertheit muss man auch ein Stück weit reflektieren. Wir leben in einer Welt, die kein Außen mehr kennt. Ende der 90er gab es mal eine Werbung für AOL mit Boris Becker. Er schaute in einen Computer rein, dann in die Kamera und sagte “Oh, ich bin drin!” Damals war das ein Thema, wie kommt man rein. Jetzt ist das Gegenteil der Fall. Man schaut nur noch auf, wenn man raus ist, also keinen Empfang mehr hat. Es gibt diese Unterscheidung zwischen virtueller und analoger Welt nicht mehr, sondern wir gleiten zwischen beiden Welten permanent hin- und her.

Die Industrie glorifiziert oft die Technik. Welche Rolle haben hier die Künste?

Ich finde Künste müssen reflektieren, kritisieren und Themen von unterschiedlichen Seiten beleuchten. Aber die Künste auf eine kritische Haltung zu reduzieren, ist auch falsch. Kunst ist nicht Politik, sie muss keine Sozialarbeit leisten oder einen didaktischen Auftrag erfüllen. Sonst wird Kunst ganz schnell langweilig. Wir leben in einer Zeit, in der Kunst sich immer gesellschaftspolitisch rechtfertigen muss, um überhaupt relevant zu sein. Aber es geht ja auch um die Konfrontation mit neuen Eindrücken, Ästhetiken und Environments. Deswegen sitzt man gerne im Planetarium und lässt sich verzaubern. Gleichwohl, wenn nur die Verzauberung da ist, dann sind wir relativ schnell in einem flachen Unterhaltungsbereich. Kunst bewegt sich in einem Dazwischen, ich habe das Gefühl, dass man der Kunst unrecht tut, wenn man sich zu weit in die eine oder andere Richtung lehnt.

Wie bewertest Du die Möglichkeiten im Ruhrgebiet in digitale Künste einzutauchen?

Das ist schwierig zu sagen. Ich habe das Oval Office und das Dive-Festival auch deshalb gegründet, weil ich das Gefühl hatte, dass es nicht genug Angebote gab. Natürlich gibt es einige Orte, die toll sind, wo viele Leute was machen. Aber es gab nicht die Dichte, die man wahrscheinlich in einer Stadt wie Berlin hat. Deswegen war es mir wichtig, einen Ort zu etablieren, der sich kontinuierlich mit digitalen Künsten beschäftigt. Vergleichbare Festivals wie Dive gibt es bisher wenig in Deutschland. Dass man an so unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Perspektiven über Immersion und digitale Künste nachdenkt.

Kannst Du uns schon was zu dem Programm des kommenden Dive-Festivals sagen?

Wir denken Tanz und immersive Kunst stärker zusammen. Wir wollen weiterhin einen großen Schwerpunkt auf Live-Kunst legen. Es sollen also keine vorproduzierten Videos abgespielt werden, wie üblicherweise in Planetarien: wir wollen in Echtzeit neue Dinge generieren.